Während vor Kurzem eine Einigung über eine rechtliche Regelung des assistierten Suizids im Bundestag scheiterte, erließ der sechste Strafsenat des Bundesgerichtshofs bereits im letzten Jahr einen bemerkenswerten Beschluss (BGH, Beschl. v. 28.6.2022 – 6 StR 68/21), in dem er eine Frau, die ihren schwerkranken Ehemann, auf dessen Wunsch hin, tötete, vom Vorwurf der Tötung auf Verlangen gemäß § 216 Abs. 1 StGB freisprach.

Angeklagt, eine frühere Krankenschwester, pflegte ihren unter chronischen Schmerzen im Rücken- und Schulter-Nacken-Bereich sowie Diabetes melitus leidenden Ehemann. Sie verabreichte ihm regelmäßig Medikamente und injizierte Insulin. Als ihr Ehemann die Schmerzen nicht mehr aushielt, beschloss er, seinem Leben ein Ende zu setzen. Zu diesem Zweck ließ er sich von seiner Frau, die die Ernstlichkeit seines Todeswunsches erkannt hatte, sämtliche im Haushalt vorrätige Schmerztabletten reichen und nahm diese selbstständig ein. Sodann forderte er seine Ehefrau auf, ihm die restlichen sechs Dosen Insulin zu injizieren. Anschließend schlief der Ehemann ein und verstarb. Die Todesursache war die durch das Insulin ausgelöste Unterzuckerung.

Das Landgericht Stendal verurteilte die Angeklagte wegen Tötung auf Verlangen gemäß § 216 Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr auf Bewährung. Diese Verurteilung hob der Bundesgerichtshof auf. Das Verhalten der Angeklagten erfülle nicht den Tatbestand des § 216 Abs. 1 StGB, sondern stelle eine straflose Beihilfe zum Suizid ihres Ehemannes dar.

Der Bundesgerichtshof grenzt die strafbare Tötung auf Verlangen von der straflosen Suizidhilfe anhand des Kriteriums der Tatherrschaft ab. Tatherrschaft bedeutet die Kontrolle über den unmittelbar lebensbeenden Akt. Liegt diese bei dem Sterbewilligen, so leistet der andere nur Beihilfe zu dessen Suizid. Liegt sie bei dem anderen, so macht er sich wegen Tötung auf Verlangen strafbar. Für die straflose Suizidbeihilfe ist nicht erforderlich, dass der Sterbewillige den lebensbeendenden Akt eigenhändig ausführt. Es genügt, wenn er sich in die Hand eines anderen gibt, solange er bis zuletzt die freie Entscheidung über sein Schicksal behält.

Im Wege einer normativen Betrachtung machte der sechste Strafsenat nun die Tatherrschaft beim Ehemann der Angeklagten aus. Die Einnahme der Tabletten und die Injektion des Insulins seien nach dem Gesamtplan ein einheitlicher lebensbeender Akt, über dessen Ausführung allein der Ehemann bestimmt habe. Eine isolierte Bewertung der Injektion des todesursächlichen Insulins durch aktives Tun der Angeklagten trage dem auf die Herbeiführung des Todes durch die Einnahme der Schmerzmittel gerichteten Gesamtplan nicht hinreichend Rechnung. Es sei reiner Zufall gewesen, dass das Insulin, welches den Todeserfolg lediglich absichern sollte, seine tödliche Wirkung vor den Tabletten entfaltete. Zudem beherrschte der Ehemann auch nach der Injektion des Insulins das Tatgeschehen, indem er seine Frau nicht aufforderte, einen Rettungsdienst zu alarmieren.

Auch eine Unterlassensstrafbarkeit der Ehefrau (§§ 216 Abs. 1, 13 Abs. 1 StGB) lehnte der Bundesgerichtshof ab. Voraussetzung hierfür ist allgemein eine Einstandspflicht des Täters für das Leben des Opfers, eine sog. Garantenstellung. Als Ehefrau des Getöteten ergab sich eine solche Einstandspflicht zwar grundsätzlich aus § 1353 Abs. 1 BGB. Diese sei jedoch wegen des frei gebildeten Sterbewunsches des Ehemannes situationsbedingt suspendiert gewesen. Auch eine Garantenstellung wegen vorangegangenen gefährdenden Tuns (Ingerenz) bestehe wegen der freiverantwortlichen Entscheidung des Sterbewilligen, die Medikamente einzunehmen und die durch das Spritzen des Insulins in Gang gesetzte Ursachenreihe nicht zu unterbrechen, nicht.

Kritiker der Entscheidung halten sie für dogmatisch inkonsequent: Die „normative Betrachtung“ stehe im Widerspruch zu § 25 Abs. 1 Var. 1 StGB. Danach ist Täter, wer die Straftat selbst begeht, also eigenhändig verwirklicht. Ebendies hat die Ehefrau durch die Injektion des Insulins getan. Dass der Ehemann auch an den eingenommenen Medikamenten hätte sterben können, sei als bloße Reserveursache unbeachtlich. Nach allgemeinen Grundsätzen sei der Tatbestand des § 216 Abs. 1 StGB daher erfüllt. Der Senat versuche mit seiner normativen Betrachtung, sich dieses unliebsame Ergebnis passend zu machen.

Dies belege auch die Stellungnahme des Senats zur Verfassungsmäßigkeit der Strafnorm des § 216 Abs. 1. StGB, wonach die Vorschrift wegen des Rechts auf selbstbestimmtes Sterben in bestimmten Fällen einer verfassungskonformen Auslegung bedürfe. Nicht von ihrem Anwendungsbereich erfasst sein sollen demnach jedenfalls Fälle, in denen es einer Person faktisch unmöglich ist, ihre willensmangelfreie Entscheidung zu sterben, selbst umzusetzen. Indem der Senat aber schon die Tatbestandsmäßigkeit des Handelns der Ehefrau verneinte, gehe er der von ihm selbst für erforderlich erachteten verfassungskonformen Auslegung aus dem Weg.

In diesem Punkt ist der Beschluss des sechsten Strafsenats trotz aller dogmatischen Kritik wegweisend. Der Senat lässt mit seiner Entscheidung erkennen, dass er die Lehren aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu dem Recht auf selbstbestimmtes Sterben gezogen hat und eine verfassungskonforme Auslegung des Straftatbestands der Tötung auf Verlangen für naheliegend erachtet. Trotzdem nimmt er sie in diesem Fall nicht vor. Das liegt an seiner normativierenden Handhabung des Tatherrschaftskriteriums. Sie stellt nicht auf einzelne Handlungen ab, sondern den „Gesamtplan“. Ausgerechnet in dieser heiklen Frage hinterlässt die Entscheidung Rechtsunsicherheit. Denn was der Bundesgerichtshof künftig unter den „Gesamtplan“ fassen wird, ist im Ergebnis ebenso schwer vorhersehbar wie jede wertende Betrachtung.